Familiäres Mamma- und Ovarialkarzinom: Neue Gene, neue Therapien, neue Konzepte (2024)

Zusammenfassung

Deutschlandweit erkranken pro Jahr aktuell circa 60 000 Frauen an einem Mamma- und 9 000 Frauen an einem Ovarialkarzinom. Bei rund 20 % der Erkrankten zeigt sich eine familiäre Häufung der Karzinomfälle. Neben den hochpenetranten Genen BRCA1 und BRCA2 gibt es weitere Hochrisikogene wie RAD51C. Die prophylaktische beidseitige Entfernung von Brustdrüsen und Adnexen senkt bei BRCA1- und BRCA2-Mutationsträgerinnen signifikant die Inzidenz von Mamma- und Ovarialkarzinomen. Schlussfolgerung: Bei etwa der Hälfte der monogen bedingten Fälle ist eine Mutation in den hochpenetranten Genen BRCA1 oder BRCA2 nachweisbar. Mutationsträgerinnen erkranken zu 80 bis 90 % an einem Mamma- und zu 20 bis 50 % an einem Ovarialkarzinom. Es wurden weitere prädisponierende Gene für das Mamma- und Ovarialkarzinom identifiziert. Diese neuen Erkenntnisse erfordern eine kritische klinische Interpretation und evidenzbasierte Betreuungskonzepte.

Summary

Every year, 60000 women in Germany are found to have breast cancer, and 9000 to have ovarian cancer. Familial clustering of carcinoma is seen in about 20% of cases. High risk is conferred by the highly penetrant BRCA1 and BRCA2 genes as well as by other genes such as RAD51C. In carriers of BRCA1 and BRCA2, prophylactic bilateral mastectomy and adnexectomy significantly lowers the incidence of breast and ovarian cancer. About half of all monogenically determined carcinomas of the
breast and ovary are due to a mutation in one or the other of the highly penetrant BRCA genes. Women carrying a mutated gene have an 80% to 90% chance of developing breast cancer and a 20% to
50% chance of developing ovarian cancer. Other predisposing genes for breast and ovarian cancer have been identified. Clinicians should develop and implement evidence-based treatments.

Familiäres Mamma- und Ovarialkarzinom: Neue Gene, neue Therapien, neue Konzepte (1)Familiäres Mamma- und Ovarialkarzinom: Neue Gene, neue Therapien, neue Konzepte (2)

Brustkrebs ist die häufigste bösartige Erkrankung der Frau in Deutschland und Eierstockkrebs der gynäkologische Tumor mit der höchsten Mortalitätsrate. Eine erbliche Krebsbelastung kann bereits vorliegen, wenn zwei oder mehr oder nur eine einzige junge Frau in der Familie erkrankt sind. Aktuelle Arbeiten haben gezeigt, dass ein monogener oder polygener Erbgang zugrunde liegen kann, bei dem Gene der DNA-Doppelstrangreparatur mutiert sind. Die Therapieverfahren bei sporadischen oder hereditären Mamma- und Ovarialkarzinomen unterschieden sich bisher nicht, allerdings gibt es Hinweise auf die Effizienz einer zielgerichteten Therapie bei Frauen mit BRCA1/2-assoziierten Tumoren. Retrospektive Studien belegen eine erhöhte Sensitivität der BRCA-assoziierten Tumoren gegenüber Platinderivaten, und erste klinische Studien zeigen bei Mutationsträgerinnen mit fortgeschrittenen Mamma- und Ovarialkarzinomen eine gute Wirksamkeit und Verträglichkeit für PARP (Poly-ADP-ribose-Polymerase)-Inhibitoren. Da diese Substanzgruppe insbesondere bei Tumorzellen von Mutationsträgern wirksam ist, bietet sich hier auch ein möglicher Ansatz zur Chemoprävention. Das multimodale Früherkennungsprogramm ermöglicht bei BRCA1/2-Mutationsträgerinnen eine Brustkrebsdiagnose im Frühstadium. Die Auswahl der optimalen Untersuchungsmethoden und -intervalle sowie deren möglicher Einfluss auf die Mortalität sind Gegenstand aktueller Studien. Effiziente Screeninguntersuchungen für die Früherkennung des Ovarialkarzinoms existieren bisher nicht. Jedoch konnte der Nutzen risikoreduzierender, prophylaktischer Operationen bei Mutationsträgerinnen bestätigt werden. Das Deutsche Konsortium für Familiären Brust- und Eierstockkrebs ist deutschlandweit in zwölf universitären Zentren organisiert. Es bemüht sich in einem multidisziplinären Ansatz um eine strukturierte und validierte Durchführung der genetischen Diagnostik sowie der daraus resultierenden gynäko-onkologischen diagnostischen und therapeutischen Interventionen. Dies wird nicht zuletzt durch die zentrale Erfassung anamnestischer Einschlusskriterien für genetische Testung, genetischer, histologischer, klinischer und Follow-up-Daten in der Zentralen Datenbank des Konsortiums an der Universität Leipzig (Institut für Medizinische Informatik, Statistik und Epidemiologie; IMISE) ermöglicht.

Genetische Diagnostik

Dem familiären Mamma- und Ovarialkarzinom liegt ein autosomal-dominanter Erbgang mit unvollständiger Penetranz zugrunde. Populationsbasierte
Studien schätzen die Penetranz für das Mammakarzinom auf 45 bis 65 %. In familienbasierten Untersuchungen mit einer Auswahl von Familien mit vielen Erkrankungsfällen liegen diese Zahlen aber höher. Dies deutet auf den Einfluss von modifizierenden Faktoren und Lebensstil hin. Manchmal manifestiert sich ein genetischer Defekt ohne belastete Familienanamnese. Dies ist auf die geringe Penetranz bei männlichen BRCA1/2-Mutationsträgern (circa 5 % für Brustkrebs) zurückzuführen („Gender“-Effekt).

Die beiden am häufigsten veränderten Gene bei familiärem Mamma- und Ovarialkarzinom sind die Tumorsuppressorgene BRCA1 und BRCA2. Sie sind bei circa 25 % der familiären und 5 % aller Mammakarzinome mutiert. Es sind Schlüsselgene in der DNA-Doppelstrangreparatur, die als mutierte Allele über einen monogenen Erbgang an 50 % der Nachkommen vererbt werden. Die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer Mutation im BRCA1- oder BRCA2-Gen ist von bestimmten familiären Konstellationen wie zum Beispiel Erkrankungshäufigkeit, Alter bei Ersterkrankung oder den betroffenen Organen (Brust, Eierstock) abhängig. Innerhalb des Deutschen Konsortiums gilt gegenwärtig als Einschlusskriterium für eine Gentestung eine empirische Mutationsnachweiswahrscheinlichkeit von 10 % (größter Wert Konfidenzintervall).

Im Rahmen der prädiktiven BRCA-Diagnostik, also
der Mutationsanalyse bei gesunden Ratsuchenden aus Familien mit nachgewiesener pathogener BRCA1- oder BRCA2-Mutation, kann statistisch gesehen bei 50 % der Ratsuchenden die Mutation ausgeschlossen und sie somit entlastet werden. Wird die Mutation hingegen nachgewiesen, können verschiedene präventive Maßnahmen wie die Teilnahme am multimodalen Früherkennungsprogramm oder prophylaktische Operationen angeboten werden. Wird in der Familie keine Mutation bei einer Betroffenen nachgewiesen, so ist keine prädiktive Testung möglich (nicht-informativer Gentest). In diesen Fällen wird das statistische Risiko der Ratsuchenden mit Hilfe der Familienanamnese ermittelt.

Im Sommer 2010 gelang die Identifikation des dritten hochpenetranten Gens für Brust- und Eierstockkrebs. Das identifizierte Gen, RAD51C, ist in circa 1,5 bis 4 % aller Brust- und Eierstockkrebsfamilien mit hoch- oder moderat penetranter Wirkung verändert. Es spielt als Tumorsuppressorgen wie BRCA1 und BRCA2 eine zentrale Rolle bei der DNA-Doppelstrangreparatur.

Auch wenn ein relevanter Anteil BRCA1/2-negativer Risikofamilien vermutlich Mutationen in noch unbekannten hochpenetranten Genen tragen, ist wahrscheinlich die kombinierte Wirkung moderat- und niedrig-penetranter Genvarianten für den größeren Teil der Karzinome verantwortlich. Möglicherweise gilt dies für 50 % aller familiären beziehungsweise 20 % aller Mammakarzinomfälle. Als moderate Risikogene wurden zum Beispiel ATM, CHEK2, BRIP1 und PALB2 mit niedriger Heterozygotenfrequenz identifiziert. Wie die oben beschriebenen Hochrisikogene, spielen auch diese eine Rolle in der DNA-Doppelstrangreparatur. Erste Daten aus der Allgemeinbevölkerung wiesen darauf hin, dass Mutationen im CHEK2-Gen zu einem zwei- bis dreifachen, bei Vorliegen einer familiären Belastung zu einem vier- bis fünffachen Brustkrebsrisiko ansteigen. Dies untermauert die Hypothese, dass die Penetranz von CHEK2-Mutationen in Risikofamilien durch weitere genetische Alterationen und/oder Umweltfaktoren im Sinne eines multifaktoriellen Erbgangs modifiziert wird.

Klinische Betreuung

Das Ersterkrankungsalter von Mutationsträgerinnen liegt rund 20 Jahre vor dem von Frauen mit sporadischem Mammakarzinom mit einer Spannbreite von der 2. bis zur 8. Lebensdekade. BRCA1-assoziierte Mammakarzinome sind den sporadischen, tripel-negativen Karzinomen ähnlich. Die Tumoren proliferieren aggressiv, metastasieren überwiegend in den ersten drei Jahren nach der Diagnose und zeigen eine schwache Korrelation von Tumorgröße, Lymphknotenstatus und Überleben. Die 10-Jahres-Überlebensraten von BRCA1- und BRCA2-Mutationsträgerinnen sind den Frauen mit sporadischem Mammakarzinom allerdings ähnlich.

Prophylaktische Operationen

Als Risiko-reduzierende Operationsverfahren stehen die prophylaktische beidseitige Mastektomie (PBM), die prophylaktische kontralaterale Mastektomie (PCM) und die prophylaktische beidseitige Salpingo-Oophorektomie (PBSO) für Mutationsträgerinnen zur Verfügung (Tabelle). Die PBM senkt das Risiko für eine Brustkrebserkrankung um mehr als 95 % und in der Folge die Brustkrebs-spezifische Letalität um 90 %. Eine PBM sollte nicht vor dem 25. Lebensjahr durchgeführt werden. Wie oben dargelegt, ist vor einer PCM eine Risikokalkulation erforderlich, die das betroffene Gen, das Ersterkrankungsalter und die Prognose nach Ersterkrankung einbezieht. Bei der präoperativen Beratung sollte die hetero- oder autologe Sofortrekonstruktion unbedingt diskutiert werden.

Die PBSO reduziert das Ovarialkarzinomrisiko um 97 %. Zusätzlich wird durch die PBSO das Brustkrebsrisiko um 50 % und das Risiko für ein kontralaterales Zweitkarzinom um 30 bis 50 % gesenkt. Darüber hinaus konnte für die PBSO eine 75%-ige Reduktion der Gesamtmortalität gezeigt werden. Empfohlen wird die PBSO per laparoscopiam um das 40. Lebensjahr sowie nach abgeschlossener Familienplanung. Eine Hormonersatztherapie ist bis zum Alter von circa 50 Jahren indiziert. Studien gaben zudem Hinweise darauf, dass Keimbahnmutationen in den BRCA-Genen, vor allem BRCA2, ein erhöhtes Risiko für andere Tumorerkrankungen, wie zum Beispiel Prostata-, Dickdarm- oder Bauspeicheldrüsenkrebs, verursachen.

Das strukturierte Früherkennungsprogramm

Aufgrund des jungen Erkrankungsalters müssen Früherkennungsmaßnahmen vor dem Beginn des für die weibliche Allgemeinbevölkerung empfohlenen Mammographiescreenings (ab dem 50. Lebensjahr) starten. Zudem wird der erhöhten Dichte des Drüsengewebes junger Frauen aus Risikofamilien, der spezifischen Tumormorphologie sowie der hohen Tumorproliferationsrate im Risikokollektiv in Auswahl von Untersuchungsmethoden und -intervallen im multimodalen Früherkennungsprogramm in den Konsortiumszentren Rechnung getragen (Kasten). Die multimodale Früherkennung sollte die Kernspintomographie der Brust als sensitivste Untersuchungsmethode jährlich zwischen dem 25. und 55. Lebensjahr enthalten. Die Kenntnis der speziellen, „benignen“ Tumormorphologie in den bildgebenden Verfahren kann die Sensitivität insbesondere der jährlichen Mammographie ab dem 30. Lebensjahr und des halbjährlichen Brustultraschalls erhöhen. Die Untersuchung des Einflusses der Früherkennung auf die Mortalität und die Lebensqualität sind Gegenstand aktueller Studien.

Kontakt:

Prof. Dr. Alfons Meindl
Frauenklinik am Klinikum rechts der Isar

alfons.meindl@lrz.tu-muenchen.de

Klinikum rechts der Isar, München: Prof. Dr. rer. nat. Meindl, LMU, München: Dr. med. Ditsch; Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Dresden: Dr. med. Kast; Universitätsklinikum Köln: PD Dr. med. Rhiem und Prof. Dr. med. Schmutzler

Familiäres Mamma- und Ovarialkarzinom: Neue Gene, neue Therapien, neue Konzepte (2024)
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Author: Golda Nolan II

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