Lesetipps von Chanel: Warum auch die Mode das Buch für sich entdeckt (2024)

„Wir ästhetisieren unser Leben“

Lesetipps von Chanel: Warum auch die Mode das Buch für sich entdeckt

Lesetipps von Chanel: Warum auch die Mode das Buch für sich entdeckt (1)

Gut gefüllt: Karl Lagerfeld 2008 vor dem Buchregal in seinem Pariser Studio.

Quelle: Eric Dessons/JDD/ABACAPRESS.COM

Ein altes Medium erlebt gerade eine beachtliche Karriere: Das Buch boomt. Stars wie Emma Roberts und Dua Lipa erreichen mit ihren Buchtipps Millionen Follower. Chanel und Dior haben Buchclubs. Und literarische Genres prägen sogar die Mode.

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Martina Sulner

Das Ambiente macht schon mal was her. An diesem Wochenende ist Hampton Court Treffpunkt für Literaturbegeisterte. Booker-Preisträgerin Bernardine Evaristo diskutiert dort mit ihrer Kollegin Elif Shafak, und Krimiautoren wie Ian Rankin und Mark Herron sind ebenfalls auf dem Schloss im Südwesten Londons zu Gast. Eingeladen hat sie Queen Camilla, die sich selbst als leidenschaftliche Leserin bezeichnet.

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Seit der Corona-Pandemie gibt sie in ihrem digitalen Buchclub „The Queen‘s Reading Room“ Lektüretipps. Seit dem vergangenen Jahr firmiert der Club als Wohltätigkeitsverein, der – so heißt es auf der Website – „die Kraft und den Nutzen des Lesens“ feiern und fördern wolle. Auf Hampton Court wird jetzt zum zweiten Mal das „Reading Room“-Festival gefeiert.

Ein Karrieresprung

Queen Camilla befindet sich in illustrer Gesellschaft. Seit einer Weile sprechen vor allem prominente Frauen in den sozialen Medien über Bücher. So haben Hollywood-Stars wie Reese Witherspoon und Emma Roberts, das Model Kaia Gerber und die britische Schauspielerin Emma Watson einen Buchclub. US-Talkmasterin Oprah Winfrey gründete ihren bereits 1996. Bei all den bekannten Leserinnen kann man schon mal den Überblick verlieren, doch klar ist: Mit ihren Tipps erreichen sie immens viele Menschen. Sängerin Dua Lipa, die auf ihrem „Service 95″-Account auch Bücher empfiehlt und Interviews mit Autoren und Autorinnen führt, hat 88 Millionen Follower.

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Auch dank all dieser schönen, schlauen Leserinnen hat das Medium Buch einen beachtlichen Karrieresprung hingelegt. Der Erfolg verdankt sich zudem den Booktokern und Booktokerinnen, die sich auf der Plattform Tiktok über Lektüreerlebnisse austauschen. Menschen, die in den Videos einen E-Book-Reader in der Hand halten, sieht man selten. Visuell kann ein Lesegerät nun mal nicht mit einem aufwendig gestalteten Buch mithalten. Und auch Lesetipps müssen in den sozialen Medien optisch Eindruck machen.

Der ästhetische Reiz des Buches

Karl Lagerfeld (1933–2019) hat nicht nur Bücher geschrieben, Fotobücher gemacht und sich als Verleger betätigt – der Modedesigner, dessen Bibliothek 300.000 Titel umfasste, wusste auch um den dekorativen Wert des Mediums. Den ästhetischen Reiz von Büchern und die Marketingmöglichkeiten rund um Literatur nutzen auch Modemarken verstärkt. Charlotte Casiraghi, Model, Co-Autorin des Buches „Archipel der Leidenschaften. Kleine Philosophie der großen Gefühle“ und Tochter von Prinzessin Caroline von Monaco, gibt für Chanel regelmäßig Lektüretipps und trifft sich mit Autorinnen und Leserinnen. Ende März moderierte sie in Paris ein „Literarisches Rendezvous“ mit der Schriftstellerin Rachel Cusk und Model-Ikone Naomi Campbell. Auf der Internetseite des Modehauses findet sich auch die Videoreihe „In der Bibliothek mit“, in der etwa Schauspielerinnen über ihre Lieblingsbücher sprechen.

Ähnlich funktioniert der „Dior Book Tote Club“. Jüngst Natalie Portman und im vergangen Jahr ihre Schauspielkollegin Rosamund Pike wandeln – die „Book Tote“, also Buchtasche, des Modehauses umgehängt – durch Bibliotheken oder Buchhandlungen und stellen Titel vor, die ihnen wichtig sind.

Ein intellektueller Touch

Die Liebe zur Literatur mag man keiner dieser Frauen absprechen. Doch man kann nur staunen, wie clever diese Lesezirkel konzipiert sind: Sowohl die Protagonistinnen als auch die Modehäuser geben sich einen gewissen intellektuellen Touch, von dem beide Seiten profitieren können.

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Wie eng die Verbindung zwischen Literatur und Mode sein kann, zeigt auch der „Dark-Academia“-Trend. Ursprünglich waren damit Bücher gemeint, die „in der Welt der poshen Internate“ spielen, wie Gerhard Lauer, Professor für Buchwissenschaft an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, es ausdrückt. Junge Leser und Leserinnen solcher Romane gäben sich in den sozialen Medien auch Hinweise, wie man sich stilgerecht kleidet, so Lauer. Verbreitet ist ein Look, wie man ihn aus Filmen wie „Der Club der toten Dichter“ kennt: Kleidung aus Leinen, Wolle und Tweed in gedeckten Farben, Krawatte für den Mann, Bluse und Faltenrock für die Frau. Dieser Modebezug führt dazu, „dass alles rund um den Dark-Academia-Stil wieder in die sozialen Medien eingespeist wird“, sagt der Wissenschaftler. „Zwischen den sozialen Medien und dem gedruckten Buch entsteht so ein Kreislauf, der dazu führt, dass diese Bücher extrem gut verkauft werden.“

Wechselwirkung zwischen Mode und Buch

Die Wechselwirkung zwischen Mode und Buch sei typisch für unsere moderne Gesellschaft. „Wir ästhetisieren unser Leben“, sagt Lauer. Das macht vor dem Leseerlebnis und auch dem Buchkauf nicht halt, denkt man etwa an die vielen durchdesignten modernen Buchhandlungen vor allem in Großstädten.

Mithilfe von Büchern lassen sich ansehnliche Bilder generieren. Das zeigen die Videos von Chanel und Dior ebenso wie Aufnahmen in sozialen Medien, auf denen Menschen vor gut gefüllten Bücherregalen posieren. Dass ein Bücherschrank imponieren kann und oft auch soll, wusste schon das frühere Bildungsbürgertum. Jetzt zeigt so ein Regal nicht nur an, wie klug man ist, sondern auch wie cool. Bücher als altes, neues Prestigeobjekt.

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Dass der Blick in ein Regal etwas über den Besitzer oder die Besitzerin verraten kann, ist ein alter Hut. Auch wenn die wenigsten das in solche Worte gekleidet hätten, wie es Thatcher Wine 2020 in einem Interview machte: „Es ist wie DNA. Was in unseren Regalen steht, ist einfach einzigartig. (...) Es ist wie Alchemie oder Magie. Wir erschaffen einfach etwas völlig Neues, das es nur hier gibt.“ Der US-Amerikaner ist Co-Autor eines (bislang nicht ins Deutsche übersetzten) Buches darüber, wie man eine Privatbibliothek designt und kuratiert: „For the Love of Books: Designing and curating a Home Library“. Mehrere Jahre war er als Buchcoach tätig und konzentrierte sich dabei besonders auf das „kreative Potenzial der Einbände“. Unter anderem hat er die Bibliothek von Hollywood-Star Gwyneth Paltrow auf Stand gebracht. Man soll ein Buch nicht nach dem Cover beurteilen? Manchmal doch.

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